15.09.2016 | Milchkrise: Die Branche soll es richten, nicht staatliche Hilfen

DBU-Podiumsdiskussion zu aktuellem Thema zur neuen Wanderausstellung „ÜberLebensmittel“

Teilnehmer der Podiumsdiskussion
Über die Milchkrise diskutierten (v.l.): Prof. Dr. Werner Wahmhoff, Albert Schulte to Brinke, Kees de Vries, MdB, Frank Feuerriegel und Rainer Spiering, MdB. Moderiert wurde der Abend von DBU-Generalsekretär Dr. Heinrich Bottermann.
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Osnabrück. Branchenregelungen zwischen Milchviehbetrieben, Molkereien und Lebensmitteleinzelhandel sind zielführender als staatliche Hilfspakete. Das ist die Einschätzung von fünf Diskutanten, die bei einer Veranstaltung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) über einen Weg aus der aktuellen Milchkrise debattierten. Anlass für die Veranstaltung war die neue Wanderausstellung „ÜberLebensmittel“. Sie präsentiert Hintergründe, Einblicke und Lösungsvorschläge, wie sich eine stetig wachsende Weltbevölkerung trotz begrenzter natürlicher Lebensgrundlagen und veränderter Ernährungsgewohnheiten auch in Zukunft gesichert und ausgewogen ernähren kann.

Landwirtschaft unter dem Brennglas der Öffentlichkeit

Moderator Dr. Heinrich Bottermann, DBU-Generalsekretär, machte zu Beginn deutlich, dass eine Vielzahl von Umwelteinflüssen auf die Erde einwirke und „wir Menschen die Verantwortung haben, den Planeten in der Balance zu halten.“ Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt und Landnutzungswandel zeigten, dass manche planetare Grenzen bereits überschritten seien. Die Landwirtschaft sei davon zentral betroffen und stehe zusätzlich unter dem Brennglas der Öffentlichkeit.

Marktwirtschaft als Ursache der aktuellen Milchkrise

Nach Wegfall der Milchquote im April 2015 kam es nach Meinung von Rainer Spiering, MdB, Mitglied im Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sowie im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, zu einer rasanten Entwicklung: „Die Milchmenge stieg ebenso wie der Export“, unter anderem durch Investitionen wie Vergrößerung und Optimierung von Stall und Melkmaschinen. Durch marktwirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten – hohes Angebot bei geringer Nachfrage führt automatisch zu Preissenkungen – sei der „deutsche Milchmarkt brutal unter Druck geraten“.
Frank Feuerriegel, Geschäftsführer der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen, brachte dagegen die internationalen Märkte ins Spiel: „Zu einem Zeitpunkt, als hier in Deutschland die Quote auslief, waren internationale Märkte plötzlich nicht mehr da.“ Damit bezog er sich auch auf das russische Embargo für Nahrungsmittel sowie eine sinkende Nachfrage aus den ölexportierenden Ländern sowie China. Gleichzeitig habe eine günstige Futtersituation zu mehr Milchproduktion geführt, zum Beispiel in den USA und Neuseeland. Feuerriegel: „Darum haben wir jetzt diese mit Abstand schwerste Milchkrise.“

Hoher Konkurrenzdruck innerhalb der Märkte und zwischen den Betrieben

Der Vizepräsident des Landvolks Niedersachsen – Landesbauernverband, Albert Schulte to Brinke, war der Meinung, dass sich die Milchviehwirtschaft mit den globalen Märkten auseinandersetzen müsse. Dem setzte Kees de Vries, MdB, Mitglied im Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, im Bundesfachausschuss Milch sowie Vorstand der Milcherzeugergemeinschaft Barmke, entgegen, dass der Weltmarkt „nicht das Non-Plus-Ultra“ sei, sondern „purer Konkurrenzstreit“. Er sehe den Bedarf, den Weltmarkt über eine Mengenregulierung der Rohmilch zu steuern. Prof. Dr. Werner Wahmhoff, Agrarwissenschaftler und Leiter der Abteilung Umweltforschung und Naturschutz in der DBU, wies auf die großen Unterschiede auch zwischen den landwirtschaftlichen Betrieben im Land hin. Am schwierigsten sei die Situation für Betriebe, die in größere Tierbestände und neue Ställe investiert hätten und damit ein großes Risiko eingegangen seien, während andere Betriebe die Verluste durch andere Betriebszweige auffangen könnten.

Mehr Wertschätzung durch Export oder regionale Produktion?

Schulte to Brinke gab zu bedenken, dass die großen Betriebe die Krise gut überstehen würden. Das Höfesterben betreffe vor allem kleinere Betriebe. Das griff Spiering auf und forderte, ein stärkeres Augenmerk auf die heimischen Märkte zu legen. Das erhöhe die Wertschätzung: „Wir sollten mehr über regionale Produktion nachdenken, wo wir regional angepasst wirtschaften.“ Gute Beispiele stellten die Diskutanten aus Bayern, Österreich und auch Norddeutschland vor. Feuerriegel gab zu Bedenken, dass Wertschöpfung auch beim Export erreicht werde. Vor allem in China zahlten die Verbraucher für deutsche Milchprodukte höhere Preise. „Am Weltmarkt geht kein Weg vorbei“, fasste Bottermann die Diskussion um die internationalen Märkte schließlich zusammen.

Mittelweg in der Landwirtschaft und gesellschaftsorientierte Förderpolitik gefordert

Bottermann leitete über zur Politik: „Neben Ordnungs- und Nachfragepolitik ist die Förderpolitik eines der großen Steuerungsinstrumente.“ Subventionen seien in Stallbauten investiert worden. Auch die Offizialberatung – eine staatliche Beratung zur Unternehmensentwicklung in der Landwirtschaft – spiele hier eine Rolle. Im Ergebnis seien überwiegend große Ställe bezuschusst worden. De Vries bemerkte, dass die Förderung in der Vergangenheit nicht den Zweck gehabt habe, das Tierwohl zu verbessern. Es sei unter anderem darum gegangen, die Milchproduktion stabil zu halten. „Und wir sollten exportfähig werden.“ To Brinke empfahl, die marktwirtschaftlichen Signale früher an die Landwirte heranzutragen, zum Beispiel über die Molkereien. Dagegen setzte Spiering, dass die Forderung, die Quote aufzuheben, aus der deutschen Landwirtschaft gekommen sei. Dem habe die Politik Rechnung getragen. „In dem Moment, wo Sie als Staat agieren, haben Sie eine Verantwortung“, so Spiering. Dabei solle sich die Förderpolitik des Staates immer in engem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Interessen bewegen. So gebe es etwa die Möglichkeit in der Strukturpolitik, Grünlandflächen zu fördern. „Dann werde ich automatisch bei Vorgaben zur Erhaltung der Böden auch die Milchleistung reduzieren“, so Spiering weiter. Dadurch werde gleichzeitig eine Mengenregulierung erreicht und Bodenschutz betrieben. Das sei ein gesellschaftlicher Mehrwert, der durch die Landwirtschaft erreicht werden könne. Wahmhoff warnte davor, Marktkrise und Schutz der Biodiversität miteinander zu verweben. „Milchvieh benötigt Intensivgrünland“, so der Agrarwissenschaftler, aber nur mageres Grünland sei insbesondere für die biologische Vielfalt von Bedeutung. Daher müsse das differenzierter betrachtet werden. De Vries sprach sich für einen Mittelweg zwischen konventioneller und Bio-Landwirtschaft aus. Auch die DBU unterstützt mit Projekten, Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit die Bestrebung, Vorteile aus beiden Bewirtschaftungsformen zu bündeln und einen dritten Weg der nachhaltigen Landwirtschaft voranzutreiben.

Staatliche Hilfen nicht zielführend, Marktbeteiligte müssen Lösung finden

Einig waren die Diskutanten, als es um den Weg aus der Krise ging, dass nationale Hilfspakete bei einer EU-weiten Krise und der weltweiten Konkurrenz nicht zielführend seien. Die seien „mehr oder weniger ein Tropfen auf den heißen Stein“, formulierte es Schulte to Brinke. De Vries lehnte eine staatliche Mengenquotierung ab, sah aber Möglichkeiten für ein Branchenabkommen, das die Rohmilchmenge kontrolliert. Feuerriegel sah eine mögliche Lösung zwischen Landwirt und Molkereien: „Wir müssen die Risiken weiterhin noch mehr forciert streuen“ und sowohl den Export als auch die heimischen Märkte bedienen. Er halte es für sinnvoll, wenn Molkereien gemeinsam mit den Milcherzeugern individuelle Mechanismen entwickelten und so zu Lösungen kämen. Auch Wahmhoff sah große Marktchancen bei eigenständigen Produkten mit regionalen Märkten, entsprechend der Weidemilch mancher Handelsketten: „Hier sind die Molkereien gefragt, Produkte auf den Markt zu bringen.“ Dieser Ansatz lasse auch zu, gesellschaftlichen Forderungen nachzukommen. Momentan, so Feuerriegel, sei Weidemilch immer noch ein Nischenprodukt, das im Handel massiv vermarktet werden müsse. Hier sei die Wertschätzung des Verbrauchers gefragt.